Wie lassen sich Heilwirkungen von Pflanzen erkennen?
Als 1989 die Mauern fielen, war das zugleich auch der Startschuss für die Pharmaindustrie, nun grenzenlos auch z.B. in lateinamerikanischen Ländern inmitten des Amazonas-Urwaldes nach neuen Heilpflanzen zu suchen. Es herrschte regelrechte Goldgräberstimmung, Hoffnung auf vielleicht völlig neuartige, noch unentdeckte Wirkstoffe. Die Losung hieß also: Auf in den Amazonas, um von den indigenen Völkern das Heilpflanzen-Wissen an- und abzuzapfen (und dann zu patentieren natürlich).
Kurios fand ich damals diese Idee. Warum die indigenen Völker mit ihrem Aberglauben und Vodoo-Zauber zu den von ihnen bekannten (oder nur geglaubten) Heilwirkungen befragen, wo doch den Pharmakonzernen ein riesiger wissenschaftsbasierter Forschungsapparat zur Seite stand, mit besten Analysemethoden, Elektronenmikroskopen, DNA-Entschlüsselungswerkzeugen - also Spitzenlabore mit allem Schnickschnack ausgestattet, die doch in der Lage sein müssten, sämtliche molekulare Zusammenhängen, Wirkungen und Wirkweisen aufzuklären. Ohne Geistergedöns. Hinfahren, Pflanzen mitnehmen, analysieren, Wirkstoffe extrahieren, evtl. ein wenig variieren, Wirkungen optimieren und fertig.
Wie naiv und grün hinter den Ohren ich damals war!

Ein rein wissenschaftliches Ergründen von Heilpflanzen ist unmöglich
Tatsächlich gibt es keinen streng wissenschaftlichen Weg, um Heilpflanzen als solche zu erkennen oder zu entdecken. Wie sollte das gehen? Man bräuchte hunderte Patienten mit möglichst denselben Symptomen (sauschwierig so zu selektieren, wo es doch schon z.B. mehrere 100 Arten von Kopfschmerz gibt, ... und das ist nur ein Krankheitsbild unter abertausenden).
Aber angenommen, dieses Problem wäre gelöst: Wie wollte man anschließend die Menschen behandeln? Einfach mal lustig drauflos in die Klamottenkiste der erbeuteten Pflanzen greifen und dann... tja dann, welche Pflanzenteile verabreichen, in welcher Dosierung, in welcher Zubereitungsform? Lässt sich das überhaupt ethisch vertreten, bedürftigen Patienten womöglich völlig nutzlose Pflanzen zu verabreichen, oder vielleicht Giftstoffe, oder solche, die erst Spätschäden verursachen? Und selbst wenn dann per Zufall einige Patienten geheilt würden - was hieße das schon: nach 3 Tagen, nach 3 Monaten? Zufällig? War es womöglich Spontanheilung? Wie viel Anteil daran hatte die Pflanze?
Kurz: Es ist unmöglich. Auch einfach im Labor Wirkstoffe herausfischen, klappt nicht, da man noch gar nicht weiß, welche der hunderten Stoffe überhaupt mögliche Wirkstoffe sind und was sie im Körper so alles machen. Und ob sie vielleicht nur im Verbund mit anderen Stoffen Wirkung zeigen. Aussichtslos! Der Weg zur Erkenntnis von Pflanzen-Heilwirkungen muss ein komplett anderer sein. Und er muss auch schon vor Jahrtausenden funktioniert haben.
Die naheliegendste Vorstellung wäre, dass sich Erfahrungsschätze einfach angesammelt haben im Laufe der Zeit. Aber die mussten sich ja auch erst mal herausbilden. Nur wie? Durch Zufall und Irrtum? Es ist ja nicht so, dass immer sofort nach Gabe einer Heilpflanze unmittelbare, klare Wirkungen auftreten. Manchmal unterstützen sie die Heilung über viele Tage, manchmal heilt der Patient aber auch von selbst, ohne dass die Pflanze irgendetwas zur Wirkung beigetragen hätte. Mitunter ist es das Wort des Heilers oder Schamanen, was den entscheidenden Heilungsimpuls gesetzt hat. Und selten weiß man wirklich genau, mit welcher Krankheit man es tatsächlich zu tun hat, in früheren Zeiten schon gar nicht. Es gibt hunderte Arten von Kopfschmerzen, da hilft nicht die eine Pflanze gegen alle Arten gleichermaßen. Und last but not least muss die Erfahrung ja auch weitergegeben werden - selbst ohne schriftliche Aufzeichnung. Wie könnte sich da ein relativ einheitliches Volkswissen herausbilden?
Vieles deutet darauf hin, dass das Erkennen der Heilwirkungen von Pflanzen auf anderem Wege funktionieren muss, intuitiver, verbundener, universeller.

Erkennen ist Erinnern
Erkenntnis, so sagte mal der Mitbegründer der Quantenphysik Werner Heisenberg, sei im Grunde nur ein Erinnern. In unserem Innern ist bereits alles da, alles Wissen, dies gilt es nur, ans Licht des Bewusstseins zu heben. Wir verfügen über eine unbegrenzte Einfühlmöglichkeit. Und die ist der Ausgangspunkt für alles Ergründbare.
Tiere z.B. 'wissen' auch, wenn sie krank sind, welche Kräuter ihnen in der Art ihrer Erkrankung am besten dienen - per Nase. Wir können das nachvollziehen, wenn wir an Heilpflanzen wie Lavendel oder Pfefferminze denken. Da geht es uns ähnlich. Bereits im Duft spricht etwas zu uns: Sympathie oder Abneigung, etwas Beruhigendes oder Erfrischendes, etwas, das uns freier atmen lässt oder uns mehr zu uns kommen lässt usw. Intuitiv, gestützt auf unsere Sinne, können wir oft recht verlässlich erahnen, was eine bestimmte Pflanze vermutlich mit uns macht, wozu sie gut sein könnte.
Das Leben ist in seiner Gesamtheit gewachsen, nicht hier mal ein Lebewesen und dort mal ein anderes, sondern alles mit- und aneinander. Leben hat sich geformt inmitten von Leben. Und herausgebildet hat sich eine universelle Ausdruckssprache, eine lingua franca in Düften, Geschmäckern, Aussehen, Habitus usw. Das Besondere daran ist, dass jedes Lebewesen diese Ausdrucksprache in einem tiefen, mitunter verborgenen Sinne versteht. Den Ausdruck von Angst z.B. verstehen wir in jedem Lebewesen. Leider haben wir Abendländler uns im Zuge der Industrialisierung kognitiv verbildet, unsere Intuition durch zu viel Denken und Reflexion verstellt. Das macht es schwierig, klar genug jenes Erinnern aufzugreifen und eine intuitive Sicherheit darin zu gewinnen.
Sich ungeübt nun von jetzt auf gleich allein seiner Intuition zu überlassen, ist natürlich gewagt. Liege ich mit meiner Intuition daneben, liege ich auch selbst schnell daneben... ins Gras beißend. Was es braucht, sind verlässliche Ordnungskategorien, die für Pflanzen ebenso gelten wie für die Organisation des Menschen.
Eines der effektivsten und übersichtlichsten Systeme ist die Zuordnung zu den Aggregatzuständen: fest, flüssig, gasförmig und, noch ergänzend, energetisch. Bildlicher ausgedrückt entspricht das: Erde, Wasser, Luft und Feuer (oder rhythmischer und gemäß 'biblischen' Schöpfungsreihenfolge ausgesprochen: Feuer, Wasser, Erde, Luft). Und hier gibt es ziemlich eindeutige Entsprechungen.
Übersichtstabelle: Zuordnung von Pflanzenmerkmalen zu Prozessen im Menschen
Element | Pflanze | Mensch |
---|---|---|
Erde | starke Verwurzelung, Bitterkeit, Derbheit in der Gestaltbildung oder im Duft, Mineralisierung... | Verdauung, Knochenbau, psychisch erdend... |
Wasser | Saftigkeit, glattrandige Blätter, Feuchte liebend, wuchernd, schwach strukturiert... | Drüsentätigkeit, Blutfluss, Schweißbildung, Harn, Lebendigkeit, Säfteorganisation... |
Luft | starker Blütenduft, | Atmung, Wirkung auf Psyche und Geist, Nerven, Ausschwitzen, Verdichtungen auflockern, lösen, Leichtigkeit... |
Feuer | feurige Blütenfarben, | Energiehaushalt, tonisierend, Antriebskraft, Motivation, ... |
Diese Tabelle liefert bereits sehr gute Anhaltspunkte, in welche Richtung mögliche Heilwirkungen zu suchen sind. Die meisten Heilpflanzen vermitteln zwischen zwei dieser Qualitäten.
Die Elemente im Einzelnen

Wenn Pflanzen z.B. sehr scharf oder feurig schmecken (Rosmarin, Kapuzinerkresse etc.), feurige Blütenfarben zeigen, sehr dem Licht zugetan sind (Kamille), Öle oder Fette hervorbringen, 'auflodern', dann wirken sie in aller Regel im Menschen anregend (tonisierend) und befeuern den Energiestoffwechsel. Für die Einschätzung der Wirkung auf den Menschen kommt freilich noch darauf an, wie das ausgeprägt Feurige ins Verhältnis gesetzt wird zu den anderen Elementen. Wird Entzündliches beruhigt, strukturiert, gelöst...? Gibt es - im Vergleich zum Rest der Pflanzenfamilie - ein Übermaß in der Blütenbildung? Werden die feurigen Aspekte durch etwa das Wässrige abgemildert, im Zaum gehalten...? Wenn man genügend viele Pflanzen unter der Vier-Elemente-Perspektive angeschaut hat, entwickelt sich eine spontane Intuition, die oft sehr treffend ist.

Der Akzent auf dem Wässrigen ist oft recht leicht bei Pflanzen zu erkennen. Dann sind sie besonders saftvoll, haben gerundete Blätter oder im Gestaltausdruck teilt sich etwas Fließendes mit (z.B. beim Blattwerk der Goldrute). Es könnte auch sein, dass das Blattwerk besonders üppig und wallend ausgeprägt ist, dass feuchte Standorte gesucht werden. Solche Pflanzen wirken in aller Regel auf die Säfteorganisation im Körper ein, die Drüsen, die Feuchtigkeitsregulation, Menstruation z.B., oft wirken sie auch beweglich machend und verlebendigend.

Wenn der Umgang mit dem Festen, dem Erdigen (letztlich auch Entgiftenden) im Vordergrund steht, dann sind die Pflanzen in aller Regel stark verwurzelt (Löwenzahn z.B.), grob in der Gestalt (Gelber Enzian), fest im Material, dumpf oder erdig im Duft (Baldrianwurzel), bitter im Geschmack. Solche Pflanzen haben in aller Regel einen Bezug zu Verdauungsprozessen, wo ja das feste Material irgendwie aufgeschlossen und an den Organismus anverwandelt wird. Aber es kann auch mit Erdung, Beruhigung, Solidität etwas zu tun haben. Oder mit Knochenbau und Stützfunktionen.

Der Umgang mit dem Luftelement schließlich zeigt sich bei einer Pflanze oft in einem intensiven Duft der Blüte (Lavendel, Baldrian...) oder in der Bauweise des Stängels (z.B. Löwenzahn mit hohlem Blütenstängel, Holunder mit Hohlzweigen), mitunter auch in der Leichtigkeit des Blattwerks (wie beim Hopfen, Kamille...). Der Hauptort der Luftorganisation ist üblicherweise die Blüte, wo sich die Pflanze verströmt. Manchmal duften auch die Blätter oder schwitzen Feuchtigkeit aus (wie z.B. der Frauenmantel oder die Pestwurz). Oder sie lassen sich vom Wind bestäuben (wie der Spitzwegerich). Oder die Samen verfliegen. Beim Menschen korrespondiert die luftige Organisation mit dem Geistigen und natürlich mit den Atemorganen und Atemwegen. Die Fragen, die sich hier stellen, sind: Bin ich viel im Kopf, bin ich zu leichtfüßig und unkonzentriert unterwegs (da wäre Baldrian z.B. angesagt), atme ich zu flach, schlafe ich gut (Lavendel, Hopfen). Das alles sind Fragestellungen im Bereich des Luftelements.
Es gibt noch einige andere Kategorisierungssysteme, mit denen sich ebenfalls gut arbeiten lässt. Die Anthroposophen (Anthroposophie = Weisheitslehre vom Menschen) zum Beispiel betrachtet Pflanzen auch viel unter in Hinsicht auf die Polarität von ätherischen und astralischen Kräften, sprich aufwallenden, wuchernden und formgebenden, einschränkenden Kräften. Wenn man ein Gefühl für diese Begriffe entwickelt hat, helfen sie, Giftpflanzen halbwegs verlässlich zu erkennen.
Eine andere Schule kategorisiert nach Planetenmerkmalen, wobei die einbezogenen sieben Planeten für bestimmte Komplexqualitäten stehen. Auch das funktioniert. Mir persönlich erscheint das Feuer-Wasser-Erde-Luft System jedoch als das intuitiv am besten zugängliche und auch als das einfachste.
Bevor Du nun rausgehst und gleich mal diese Zuordnungsweise selber erprobst, noch eine Bemerkung vorab. Selten ist eine Pflanze nur einem einzigen Element dominant zugeneigt (mir fällt da am ehesten der gelbe Enzian ein, ein absoluter Brecher, der sich durch und durch nur mit dem Element Erde auseinander setzt und von daher eine rein verdauungsunterstützende Pflanze ist). Wesentlich häufiger anzutreffen ist freilich, dass Heilpflanzen zwei Elemente zueinander ins Verhältnis setzen, mache auch 3, selten kommen alle 4 Elemente ungefähr gleichberechtigt zum Zuge (wie etwa bei der Schafgarbe).
Gleichzeitig ist es von Vorteil, Hintergrundwissen zu den jeweiligen Pflanzenfamilien einzuholen, also den Typus zu kennen. Denn vor dem Hintergrund der Familienmerkmale heben sich bestimmte einseitige Ausprägungen, Unwuchten etc. deutlicher ab. In ihnen stecken die entscheidenden Hinweise auf mögliche Heilqualitäten. Es verhält sich ein bisschen ähnlich wie bei Künstlern in der Gesellschaft. Auch sie verkörpern zumeist einseitige Sonderbegabungen oder haben einen bestimmten, bis zum Exzess gesteigerten Spleen, der aber gerade ihre Genialität ausmacht und eine bestimmte Sache auf den Punkt bringt. Gesellschaftliche Heilpflanzen sozusagen.
Freude selbst zu forschen
Sich in diese Welt der Zeichen hinein zu schauen, macht extrem viel Freude. Als ich das erste mal eine Kunstausstellung besucht hatte, stand ich zwar bewundert, aber doch irgendwie ratlos vor den Bildern. Was ich von ihnen sagen konnte war, dass sie mir gefielen oder nicht. Aber nichts darüber Hinausgehendes. Später beschäftigte ich mich mehr mit bildender Kunst, und auf einmal fingen die Werke an zu sprechen. Überall leuchteten Beziehungen auf, zum jeweiligen Zeitgeschehen und dem Zeitgeist, zu Künstlerepochen, zu Lebensgefühlen und Normalitätsvorstellungen. Es war, als würde ich neue Räume oder bis dato unerschlossene Dimensionen eintreten, in denen ich ganz anderes schauen und mitempfinden konnte als bei meinem ersten Besuch.
So ist das auch mit der Pflanzenwelt, eigentlich nichts anderes als ein unerschöpfliches Kunstmuseum vor unseren Füßen. Gerade die vermeintlichen Un-Kräuter zeichnen sich durch enorme Vitalität und Vermehrungs- und Durchsetzungskraft aus. Das sind, so unscheinbar sie manchmal wirken (wie z.B. das Hirtentäschl), dann die eigentlichen Stars auf der Bühne der Pflanzenwelt. Man muss sie nur in der rechten Weise schauen lernen. Dann erscheinen sogar Brennnesseln als schöne und wunderbare Pflanzen.

Ganzheitliche Pflanzenheilkunde - von mir selbst (Falk Fischer). Ein lebens-philosophisches Buch: wie lässt sich das Lebendige tiefer begreifen und was macht den Unterschied, wenn man Lebendiges mit Lebendigem heilt.

Alles über Heilpflanzen von Ursel Bührung. Ein tolles Anwendungsbuch. Für Laien geschrieben, schön bebildert, gut strukturiert. Klasse.

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